Der Ernährungskompass

19. Oktober 2019 0 Von Raw Spirit

Der Ernährungskompass

(Rating: 52%)

” Als der Wissenschaftsjournalist Bas Kast gerade 40-jährig mit Schmerzen in der Brust zusammenbrach, stellte sich ihm eine existenzielle Frage: Hatte er mit Junkfood seine Gesundheit ruiniert? Er nahm sich vor, seine Ernährung radikal umzustellen, um sich selbst zu heilen. Doch was ist wirklich gesund? Eine mehrjährige Entdeckungsreise in die aktuelle Alters- und Ernährungsforschung begann. Was essen besonders langlebige Völker? Wie nimmt man effizient ab? Lassen sich typische Altersleiden vermeiden? Kann man sich mit bestimmten Nahrungsmitteln „jung essen“? Vieles, was wir für gesunde Ernährung halten, kann uns sogar schaden. Aus Tausenden sich zum Teil widersprechenden Studien filtert Bas Kast die wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über eine wirklich gesunde Kost heraus. “

Ich kann es kaum glauben! Ich halte die Lösung für uns alle in den Händen! Das Fazit aller wissenschaftlichen Studien zur Ernährung! 5 Sterne bei Amazon und Empfehlungen von allen Zeitungen und Fernsehsendern! Ist das so? Dieses Buch wurde mir wie kein zweites in den letzten Monaten ans Herz gelegt. Autor ist der Journalist Bas Kast der bisher, was Ernährungsthemen angeht, noch nie irgendwo in Erscheinung getreten ist. Aber vielleicht halte ich ja hier sein geniales Erstlingswerk in den Händen.

Der Anspruch ist schon enorm, bei diesem Thema sich als derjenige zu platzieren, der den Konsens von über fünfzigtausend Studien zum Thema Ernährung quasi im Alleingang erarbeitet hat, ist mutig. Zudem in den heutigen Zeiten fast täglich hunderte neue Studien rauskommen. Aber Vorschusslorbeeren gibt es genug, also habe ich interessiert angefangen zu lesen. Der Autor beginnt mit einer mitreißenden Story, wie er nach einem Herzinfarkt durch die Umstellung der Ernährung sein Leben gewandelt hat. Klar, ohne Storytelling geht es heute nicht mehr. Will ich auch gar nicht bewerten. Er kommt relativ schnell auch zu dem Punkt, dass eine pflanzliche Ernährung sehr gut geeignet ist Herzleiden zu minimieren und typische Alterserscheinungen zu bekämpfen. Es folgt, analytisch betrachtet, ein Sympathiekapitel um den Leser gefühlstechnisch dort abzuholen wo die meisten sind: Genervt von Ernährungsgurus und endlich eine einfache Lösung haben wollend. Dabei bezeichnet er die Low Carb Gurus als selbstbewusst und die High Carb Gurus als genußunfähig. Obwohl er direkt im Kapitel davor noch einmal deutlich herausgestellt hat, dass er völlig objektiv und wertungsfrei arbeitet? Das wird nicht der einzige Widerspruch im Buch bleiben.

Dann das erste große Kapitel “Proteinverdünnung”.  Noch nie gehört… Die kurze Erklärung: Er ist der Meinung, dass dicke Menschen nur deshalb dick sind weil sie zu wenig Proteine essen und das liegt daran, dass unsere Nahrung immer proteinärmer wird. Uhh jetzt war ich aber ernsthaft überrascht. Aber dann erklärt sich auch die positive Bewertung der LowCarbGurus im Gegensatz zu den genussunfähigen HighCarb oder wie er sie bezeichnet LowFat Gurus. Wenn es für High Fat bzw ketogene Diäten, aus meiner Sicht, zumindest im Krankheitsfall einige Fälle gibt wo man diese eine gewisse Zeit einsetzen könnte, stellt eine proteinreiche Kost in der Ernährungswissenschaft eine mittlerweile kaum noch zu findende ernsthafte Alternative dar. Ja klar, diese führen am Anfang zu einem hohen Gewichtsverlust, aber diese Zusammenhänge mit den negativen Folgen sind alle schon deutlich aufgezeigt. Ein Fokus auf proteinreiche Ernährung wird von der Wissenschaft ganz klar als einfach nur gesundheitsschädigend angesehen. Dazu habe ich schon etliche belegte Videos und Artikel verfasst. Er hat dann kurioserweise Weise dann doch auch darauf verwiesen, dass kohlenhydratreiche Ernährungsformen in den Studien besser performt haben, wenn es um Gewichtsabnahme geht, dann aber diese Studien kritisiert, weil sie auf Befragungen basierten und die Teilnehmer doch bestimmt schummelten…

Diese Vermutungen haben rein gar nichts mit einer wissenschaftlichen Vorgehensweise zu tun. Seine Grundthese dass Menschen die Übergewicht haben, dies nur der Tatsache verdanken, dass sie sich zu proteinarm ernähren und daher immer weiter essen um dieses Defizit auszugleichen, basiert auf einer Studie mit 10 Teilnehmern. Er behauptet dann dass dies auch noch mehrfach bestätigt worden sei, aber nennt dann im Laufe des Buches gerade nochmal eine weitere Studie. Er offenbart abermals fachliche Schwächen wenn er sagt, dass Mormonen-Grillen dann erst gesättigt sind, wenn Sie genügend Protein aufgenommen haben und DESHALB ist auch für uns Menschen Protein so wichtig zur Sättigung. Aber die Stoffwechselrate von Säugetieren (was die Grille nicht einmal ist) wächst mit der Potenz von 0,75 zum Körpergewicht und daher braucht ein größeres Lebewesen mehr Energiekalorien in Form von Kohlenhydraten und auch Fett als eine Maus.

Ich habe ja mittlerweile Dank Youtube und der vielen Ernährungsvideos ein gutes Gefühl, wenn sich jemand was zurechtbiegt. Dieses Kapitel fühlt sich verdammt danach an! Aber auch hier wirft er wie aus dem Nichts ABERMALS einen Rettungsanker, zumindest wenn es um die Gunst der Wissenschaft geht. Er gibt dann am Ende des Kapitels eben doch zu, dass proteinreiche Diäten ein höheres Risiko haben Krebs- und Herzkreislauferkrankungen auszulösen. Teilweise wirkt das Kapitel etwas schizophren, wie ein Mensch der sich gerade selber vom High Protein überzeugen muss. Dennoch bleibt seine These deutlich im Raum. “Erst wenn der Eiweißhunger gedeckt ist, hört der Mensch auf zu essen.” Aber das gilt letztlich für alle essentiellen Nährstoffe ob es nun die Aminosäuren, essentielle Vitamine oder Mineralstoffe sind. Und Eiweiße nimmt der Durchschnitt der übergewichtigen Gesellschaft schon genug in Form von Wurst & Fleisch auf.

Kommen wir dann direkt zum Fleisch. Sein Statement: “Ich verzichte nicht auf Fleisch und aus gesundheitlichen Gründen muss man das auch nicht!” Dieses Statement wird obwohl er sonst recht viel mit Studien arbeitet nicht belegt. Aber das Statement ist auch clever. Es verschreckt niemanden und er kann sich in einer Diskussion auch rausreden und sagen. Ja wenn man einmal im Monat eine Scheibe Wurst ist, dann ist das gesundheitlich unbedenklich. Denn da würde ich ihm zustimmen. Aber was er mit einer derartig schwammigen Aussagen für ein Signal setzt ist fragwürdig. Zumal in seinen Analysen immer klar hervorgeht, dass Fleisch kein gesunden Lebensmittel ist. Und das ist natürlich positiv anzumerken, dass er hier tatsächlich auch den aktuellen wissenschaftlichen Stand, was ja auch sein Anspruch war auch immer wieder, wenngleich auch relativierend und seinen Ansichten anpassend erwähnt. Er wirbt auch erfreulicherweise für Individualität bei der Ernährung, aufgrund unterschiedlicher Stoffwechsel. Sehr positiv, denn das ist auch die Erklärung warum es so viele unterschiedliche teilweise fanatische Kämpfer für ihre Ernährungsweise gibt und die alle völlig von dem überzeugt sind was sie am eigenen Leib erfahren haben. Auch wenn er damit letztlich wieder nur eine Brücke schlägt um sich wieder seinen Proteine besser zu reden. Er empfiehlt dann eben auch ausdrücklich eine Low Carb Ernährung für Kohlenhydratunverträgliche. Was auch wieder nichts Falsches ist. Aber es gibt Glutenunverträglichkeit und Übergangsprobleme mit einem MEHR an Ballaststoffen, aber eine generelle Kohlenhydratunverträglichkeit gibt es in dieser Form einfach nicht!

Generell realisiert wenn man an der Ein oder Anderen Stelle in die Tiefe geht dass vieles sehr oberflächlich ist und nicht wirklich in die Tiefe gegangen wurde. Eine Studie, die Walnüsse als gesund darstellt, wurde vom Kalifornischen Verband der Walnuss-Anbauer mitfinanziert. Sowas muss eigentlich auffallen, wenn man wie er sagt, jahrelang nur Studien gewälzt hat. Auch das manche Studien den eigenen Kriterien an guten Studien, die der Autor aufgestellt hat nicht genügen ist bezeichnend für den fehlenden Tiefgang des Buches.

Weitere Themen wie Vollkornprodukte, Intermittent Fasting und Nahrungsergänzungsmittel punkteten aus meiner Sicht mit einer soliden Argumentation und dem korrekten Zusammenfassen der aktuellen Ernährungsansichten großer Ernährungsinstitute. Der Autor nutzt eine einfache und verständliche Sprache Wunderbar. Allerdings auch hier findet sich im Netz beim Lesen anderer Rezensionen auch Widersprüche und ein Amazon Rezensent bemerkt folgendes: S. 273: Der Autor sagt „Es macht also sehr wohl einen Unterschied, wann wir was essen“, während in der zitierten Studie von Gill & Panda,  steht: „We did not find a simple positive correlation between the daily eating duration and BMI in our cohort“. Wieder das Gegenteil dessen, was der Autor behauptet. Als ich in die Studie reingeschaut habe, muss ich dem Rezensenten recht geben, auch wenn ich selber bzgl. des Intermittent Fasting positive Erfahrungen gemacht habe und das selbe praktiziere. Zum Alkohol hat er auch eine erstaunlich liberale Einstellung die sich wiederum nicht mit meinen Erkenntnissen und Recherchen deckt.

Ganz klar: NEIN das was er schreibt ist NICHT das Fazit aller wissenschaftlichen Studien! Ein Glas Wein zum Abend galt vor 10 Jahren noch als gesund. Heute nicht mehr. Das Buch punktet bei mir  aber trotzdem immer mal mit wissenswerten Fakten, wie das Basmati Reis die Kohlenhydrate viel langsamer abgibt als Jasmin Reis. Aber ich habe diese Fakten, wenn sie für mich nicht essentiell waren auch nicht nachgeprüft. Bei Milch und Käse führt er Studien ins Feld, dass diese nicht so schädlich sind, wie dargestellt. Dabei wird aber klar, dass umso länger Käse und Milch fermentiert oder generell von Bakterien bearbeitet werden umso gesünder werden sie. Ja umso weiter sie wieder in den natürlichen Kreislauf kommen, ja klar umso gesünder werden sie. Dass er aber diesen Zusammenhang nicht erkannt hat und bei Milch und Käse sind evtl. gesund stehen geblieben ist erhärtet mein Grundgefühl bei diesem Buch.

Dieses Buch ist am Marketingreißbrett entstanden. Angefangen mit einer rührenden Geschichte bietet der Titel des Buches die ultimative Lösung für einer der brennendsten Fragen vieler Menschen. Dabei verschreckt er möglichst wenig, wartet mit einer komplett neuen Theorie auf um letztlich genau dort zu landen, wo die DGE und die WHO auf ihrer Webseite ihre Empfehlungen geschrieben haben. Und ja klar die WHO und die DGE sind die Quintessenz des aktuellen Konsenses der Wissenschaft und damit der Ernährungsstudien. Damit ist das Buch eigentlich wenn man es ganz genau nimmt, von den Informationen überflüssig. Aber dadurch dass wieder ein paar mehr Menschen, zumindest was das Fleischthema angeht aufgeklärt werden, erfüllt es einen guten Zweck. Entsprechend gebe ich 52% und eine Kaufempfehlung für völlig im gesellschaftlichen Mainstream feststeckende Menschen die erstmal grundsätzlich neu justieren müssen ohne dabei vor den Kopf gestoßen zu werden. Aber wissenschaftlichen Ansprüchen genügt das Buch nicht, auch wenn seine Aussagen teilweise der Essenz der Wissenschaft entsprechen.

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Samu

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